Ich lebe

Ich lebe,
ich darf leben,
ich habe Zeit bekommen,
um zu leben,
um zu lieben,
um zu tanzen,
um glücklich zu sein.


Unbekannt

Manchmal

Scheinen die Dinge auseinanderzubrechen
Wenn du es am wenigsten erwartest
Manchmal
Möchtest du zusammenpacken und
sie alle mitsamt ihrem Lächeln hinter dir lassen.


Unbekannt

An mein Kind

An diesem Morgen werde ich lächeln wenn ich dein Gesicht sehe und lachen, auch wenn mir nach weinen zumute ist.
An diesem Morgen lasse ich dich deine Kleider selbst aussuchen, und sage dir wie perfekt es aussieht.
An diesem Morgen werde ich die schmutzige Wäsche liegen lassen und mit dir in den Park zum Spielen gehen.
An diesem Morgen lasse ich das schmutzige Geschirr in der Spüle und lasse mir von dir zeigen wie man dein Puzzle zusammenbaut.
An diesem Nachmittag werde ich das Telefon ausstecken, den Computer ausschalten und mit dir im Garten sitzen und Seifenblasen fliegen lassen.
An diesem Nachmittag werde ich dich nicht anschreien und werde nicht genervt sein wenn du schon wieder ein Eis willst, ich werde es dir einfach kaufen.
An diesem Nachmittag werde ich mir keine Sorgen darüber machen, was einmal aus dir werden wird, wenn du erwachsen bist.
An diesem Nachmittag werden wir Plätzchen backen und ich lasse sie ganz alleine von dir formen ohne es besser machen zu wollen.
An diesem Nachmittag gehen wir zu McDonalds und kaufen zwei Happy Meals damit wir beide ein Spielzeug haben.
An diesem Abend werde ich dich in den Armen halten und dir eine Geschichte darüber erzählen, wie du geboren wurdest und wie sehr ich dich liebe.
An diesem Abend werde ich dich in der Badewanne planschen lassen und mich nicht über die Pfützen ärgern.
An diesem Abend darfst du ganz lange aufbleiben und wir sitzen auf dem Balkon und zählen die Sterne.
An diesem Abend werde ich mich ganz lange und ganz nah zu dir kuscheln und meine Lieblingsfernsehsendung verpassen.
An diesem Abend, wenn ich mit meinen Händen über dein Haar streiche während du betest, werde ich einfach nur dankbar sein für das größte Geschenk das Gott mir gemacht hat.
Ich werde an die anderen Mütter und Väter denken, die ihre vermißten Kinder suchen, die Mütter und Väter die an die Gräber ihrer Kinder gehen müssen, weil die Kinderzimmer leer sind, an die Mütter und Väter die in Krankenhäusern sitzen und zusehen müssen, wie ihre Kinder leiden und ihre Verzweiflung nicht hinausrufen dürfen.
Und wenn ich dir einen Gute-Nacht-Kuß gebe, dann werde ich dich ein bißchen fester halten, ein bißchen länger.
Dann werde ich mich bei Gott für dich bedanken und ihn um nichts bitten.
Außer einen weiteren Tag...
Wir wissen nie, ob Gott uns noch einen weiteren Tag gibt.


Unbekannt

Ganzheit

Sobald wir das Dasein als Ganzheit erfassen
Und jede Krankheit als Reifen begreifen,
wird uns das Leben geheilt entlassen,
um höhere Sphären zu durchstreifen
und alles Werden und Vergehn
als Spiel der Einheit zu verstehn.


Unbekannt

Menschenleben

Wähnen, glauben, fürchten, lieben,
sich erfreuen und betrüben.
Bald sich wagen, bald besinnen,
oft verlieren, oft gewinnen.
Sich vertiefen, sich erheben,
zwischen Furcht und Hoffnung schweben,
Traum mit Wirklichkeit verweben,
doch, wo möglich, vorwärts streben,
das ist eben – Menschenleben


Unbekannt

Zwei Meilen Trab

Es sät der Huf, der Sattel knarrt,
der Bügel jankt, es wippt mein Bart
im immer gleichem Trabe.

Auf stillen Wegen wiegt mich längst
mein alter Mecklenburger Hengst
im Trab, im Trab, im Trabe.

Der sammetweichen Sommernacht
Violenduft und Blütenpracht
begleiten mich im Trabe.

Ein grünes Blatt, ich nahm es mit,
das meiner Stirn vorüberglitt
im Trabe, Trabe, Trabe.

Hut ab, ich nestle wohlgemut,
Hut auf, schon sitzt das Zweiglein gut,
ich blieb im gleichen Trabe.

Bisweilen hätschelt meine Hand
und liebkost Hals und Mähnenwand
dem guten Tier im Trabe.

Ich pfeif aus Flick und Flock ihm vor,
er prustet, er bewegt das Ohr,
und sing ihm eins im Trabe.

Ein Nixchen, das im nahen Bach
sich badet, plantscht und spritzt mir nach
im Trabe, Trabe, Trabe.

Und wohlig weg im gleichen Maß,
daß ich die ganze Welt vergaß
im Trag, im Trab, im Trabe.

Und immer fort, der Fackel zu,
dem Torfahrtlicht der ewigen Ruh,
im Trabe, Trabe, Trabe.


Detlev von Liliencron (1844 - 1909)

Was dich immer drückt

Was dich immer drückt, verzage nicht.
Auch das Leiden adelt – klage nicht.
Nur was wieder in den Staub dich zieht,
das Gemeine nur vertrage nicht.
Freude kann veredeln wie der Schmerz,
drum des Lebens Lust entsage nicht.
Vorwärts, unaufhaltsam rollt die Zeit,
und ins Rad zu greifen wage nicht.
Was du bist, das strebe ganz zu sein.
und nach anderm Lohne frage nicht.


Albrecht Graf Wickenburg (1839 - 1911)

Das Leben ist ein Traum

Wir sind nicht auf Erden, um zu leben.
wir sind gekommen, um zu schlafen,
nur um zu träumen.
Unser Leib ist eine Blume,
wie das Gras im Frühling ergrünt.
so öffnen sich unsere Herzen
und treiben Knospen,
um zu blühen und dann zu verwelken.
So lehrt der weise Tochihuitzin.


Von den Azteken

Wer nicht gelitten

Wer nicht gelitten,
hat nur halb gelebt,
wer nicht gefehlt,
hat wohl auch nicht gestrebt,
wer nie geweint,
hat halb auch nur gelacht,
wer nie gezweifelt,
hat wohl kaum gedacht.


Robert Burns (1759 - 1796)

Was ist Leben?

Was ist Leben? Irrwahn bloß!
Was ist Leben? Eitler Schaum,
Trugbild, ein Schatten kaum,
Und das größte Glück ist klein;
Denn ein Traum ist alles Sein,
Und die Träume selbst sind Traum.


Pedro Calderón de la Barca (1600 - 1681)

Und wenn zerfällt

Und wenn zerfällt
die ganz Welt,
wer sich an ihn hält,
und wen er hält,
wird wohlbehalten bleiben.


Karl Johann Philipp Spitta (1801 - 1859)

Erde

Was die Erde hat, kann nicht bestehen,
ihre Gabe heißt Vergänglichkeit,
aufwärts zu dem Himmel mußt du sehen,
suchst du ew'ge Schön- und Herrlichkeit.

Laß zum Himmel dich die Erde weisen,
suche deine Heimat nicht auf ihr,
du mußt weiter, immer weiter reisen,
deines Bleibens ist nicht lange hier.


Karl Johann Philipp Spitta (1801 - 1859)

Der Abend

Der Abend leget warme
hernieder seine Arme
und wo die Erde zu Ende
da ruhen seine Hände…
Die Mücklein summen leise
in ihrer hellen Weise
und alle Wesen beben
und singen leis vom Leben…
Es ist nicht groß, es ist nicht breit,
s’ ist eine kleine Spanne Zeit
und lange währt die Ewigkeit…


Paula Modersohn-Becker (1876 - 1907)

Groß ist das Leben

Groß ist das Leben und reich!
Ewige Götter schenkten es uns,
lächelnder Güte voll,
uns, den Sterblichen, Freudegeschaffenen.
Aber arm ist des Menschen Herz!
Schnell verzagt, vergißt es der reifenden Früchte.
Immer wieder mit leeren Händen
sitzt der Bettler an staubiger Straße, drauf das
Glück mit tönernen Rädern
leuchtend vorbeifuhr.


Otto Erich Hartleben (1864 - 1905)

Sekunden

Deine flüchtigen Sekunden
Miß mit deines Herzens Schlag!
Deine Wahrheit ist dein Tag,
Und mit ihm ist sie entschwunden.
Antwort forderst du vergebens,
Wo kein Puls des Blutes schlägt -
Was dein Innerstes bewegt,
Ist die Wahrheit deines Lebens.


Lebensweisheit

Hoffen

Kein Harren gilt noch Hoffen!
Frisch vorwärts! Unverzagt!
Mir steht die Welt noch offen:
Wohlan, es sei gewagt!

Und wird's auch nie errungen,
Wonach mein Geist gestrebt,
So hab ich doch gesungen,
Geliebt und gelebt.


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 - 1874)

Mancherlei

Mancherlei sammelt gar Mancher,
Und weiß des Sammelns kein Ende,
Und ob dem Mancherlei, ach!
Sammelt er selber sich nicht.
Hast du alles gesammelt,
Was wird dein Sammeln nützen,
Wenn du die Welt auch gewännst,
So du dich selber zerstreust? –
Die zerstreut waren,
In eine Herde zu sammeln,
Kam vom Himmel herab
Selber des Ewigen Sohn;
Sprach auch deutlich genug:
Wer nicht mit mir sammelt, zerstreut!

Und doch bleibet zerstreut
Sorglos die thörichte Welt! –


Christian Adolf Overbeck (1755 - 1821)

Alle Wesen

Alle Wesen scheun Bedrückung,
bangen vor des Todes Nöten.
gleich wie du ist jedes Wesen!
Töte nicht und laß nicht töten!

Alle Wesen scheun Bedrückung,
alle um das Leben beten,
gleich wie du ist auch der andre!
Töte nicht und laß nicht töten!


Buddha (560 - 480 v. Chr.)

Faunsflötenlied

Ich glaube an den großen Plan,
den heiter heiligen Werdegeist;
sein Herzschlag ist der Weltentakt,
in dem die Sonnenfülle kreist.

Er wird und stirbt und stirbt und wird,
kein Ende und kein Anbeginn.
Sing, Flöte, dein Gebet der Lust!
Das ist des Lebens heiliger Sinn.


Otto Julius Bierbaum (1865 - 1910)

Wer sich kennt

Wer andere kennt, ist klug.
Wer sich selber kennt, ist weise.
Wer andere besiegt, hat Kraft.
Wer sich selber besiegt, ist stark.
Wer sich durchsetzt, hat Willen.
Wer sich selber genügt, ist reich.
Wer seinen Platz nicht verliert, hat Dauer.
Wer auch im Tode nicht untergeht, der lebt.


Laotse (6. oder 4. - 3. Jh. v. Chr.)

Das beste Werk

Das beste Werk auf Erden ist,
Korn in die Scholle säen,
Und aller Freuden reichste ist,
Die vollen Schwaden mähen.
Rund geht der Wurf des Sämanns
und rund des Schnitters Eisen
des ganzen Lebens auf und ab
liegt zwischen diesen Kreisen.


Friedrich Rückert (1788 - 1866)

Bis wohin reicht mein Leben (Die Liebende)

Das ist mein Fenster. Eben
bin ich so sanft erwacht.
Ich dachte, ich würde schweben.
Bis wohin reicht mein Leben,
und wo beginnt die Nacht?

Ich könnte meinen, alles
wäre noch Ich ringsum;
durchsichtig wie eines Kristalles
Tiefe, verdunkelt, stumm.

Ich könnte auch noch die Sterne
fassen in mir; so groß
scheint mir mein Herz; so gerne
ließ es ihn wieder los.

den ich vielleicht zu lieben,
vielleicht zu halten begann.
Fremd, wie nie beschrieben
sieht mich mein Schicksal an.

Was bin ich unter diese
Unendlichkeit gelegt,
duftend wie eine Wiese,
hin und her bewegt,

rufend zugleich und bange,
daß einer den Ruf vernimmt,
und zum Untergange
in einem Andern bestimmt.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Wie das Gestirn

Wie das Gestirn, der Mond, erhaben, voll Anlaß,
plötzlich die Höhn übertritt, die entworfene Nacht
gelassen vollendend: siehe: so steigt mir
rein die Stimme hervor aus Gebirgen des Nichtmehr.
Und die Stellen, erstaunt, an denen du da warst und
fortkamst, schmerzen klarer dir nach.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Du mußt das Leben nicht verstehen

Du mußt das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und laß dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken läßt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Abend

Der Abend wechselt langsam
die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich
die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt.

Und lassen dich,
zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus,
das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht
und steigt.

Und lassen dir
(unsäglich zu entwirrn)
dein Leben bang und riesenhaft
und reifend,
sodaß es, bald begrenzt
und bald begreifend,
abwechseln Stein in dir wird und Gestirn.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Leben

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge zieh'n.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang,
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Leben

Leben, wohl dem, dem es spendet
Freude, Kinder, täglich Brot,
Doch das Beste, was es sendet,
Ist das Wissen, daß es endet,
Ist der Ausgang, ist der Tod.


Theodor Fontane (1819 - 1898)

Das Leben

Das Leben ist verhüllt und verborgen,
wie auch euer größeres Selbst verborgen
und verhüllt ist.
Aber wenn das Leben spricht,
werden alle Winde Worte;
und wenn es von neuem spricht,
so wird das Lächeln auf euren Lippen
und die Tränen in euren Aug' zum Wort.
Wenn es singt , hören es die Tauben
und sind ergriffen;
und wenn es sich langsam nähert,
sehen es die Blinden und sind entzückt
und folgen ihm verwundert und erstaunt.


Khalil Gibran (1883 - 1931)

Bild der Sonne

Das Bild der Sonne in einem Tautropfen ist
nicht weniger als die Sonne selbst.
Das Abbild des Lebens in eurer Seele ist nicht
weniger wert als das Leben selbst.
Ein Tropfen des Taues spiegelt das Licht
wider, denn es ist eins mit dem Licht,
und ihr seid ein Ebenbild des Lebens, denn
ihr und das Leben seid eins.


Khalil Gibran (1883 - 1931)

Doch heute zu sein…

heißt, weise sein, wenn auch vertraut mit der Torheit;
heißt, stark sein, aber nicht zum Schaden des Schwachen; heißt, mit den Kindern spielen, aber nicht als ihre Väter, sondern als ihre Kameraden, die ihre Spiele lernen wollen;
heißt, einfach und offen sein mit den Alten und mit ihnen im Schatten betagter Eichen sitzen, auch wenn ihr noch im Frühling steht;
heißt, einen Dichter suchen, auch wenn er hinter sieben Flüssen wohnt, und in seiner Gegenwart Frieden empfinden, nichts wollen, ohne Zweifel sein und ohne Frage auf den Lippen;
heißt, wissen, daß der Heilige und der Sündige Zwillingsbrüder sind, deren Vater unser Barmherziger König ist, und daß der eine nur kurz vor dem anderen geboren wurde, weshalb wir ihn als Kronprinzen betrachten;
heißt, der Schönheit folgen, auch wenn sie zum Rande des Abgrunds führt; und wenn sie Flügel hat, ihr aber ohne Flügel seid, ihr folgen, auch wenn sie über den Abgrund geht, denn wo keine Schönheit ist, da gibt es nichts;
heißt, ein Garten sein ohne Mauern, ein Weinberg ohne Wächter, eine Schatzkammer, immer offen stehend für Besucher;
heißt, ausgeraubt, betrogen, enttäuscht, ja sogar irregeführt, in die Falle geraten und dann verspottet sein, trotz alledem aber herabblicken von der Höhe eures größeren Selbst und lächeln im Bewußtsein, daß es einen Frühling gibt, der in euren Garten kommt, um in euren Blättern zu tanzen, und einen Herbst, der eure Trauben reifen lässt;
heißt, wissen, daß ihr nur ein Fenster nach Osten öffnen müßt, um niemals allein zu sein, und wissen, daß alle, die für Übeltäter und Räuber gehalten werden, eure Brüder sind, die ihr braucht, und daß ihr selbst all das seid in den Augen der seligen Bewohner der Unsichtbaren Stadt jenseits von uns.


Khalil Gibran (1883 - 1931)

Sommers letzte Rose

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
sie war, als ob sie bluten könnte, rot;
da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
so weit im Leben ist zu nah am Tod!

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
nur leise strich ein weißer Schmetterling,
doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
bewegte, sie empfand es und verging.


Christian Friedrich Hebbel (1813 - 1863)

Im Atemholen

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einzuziehn, sich ihrer entladen;
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt,
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
Und dank’ ihm, wenn er dich wieder entläßt!


Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)

Wie an dem Tag

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
bist also fort und immer fort gediehen
nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
so sagten schon Sybillen, so Propheten.
Und keine Macht und keine Zeit zerstückelt
geprägte Form, die lebend sich entwickelt.


Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)

Das Lied von der Glocke


Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden.
Frisch Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.

Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
Den schlechten Mann muß man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist's ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise.

Was in des Dammes tiefer Grube
Die Hand mit Feuers Hülfe baut,
Hoch auf des Turmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird's in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr
Und wird mit dem Betrübten klagen
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängnis bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
Die es erbaulich weiterklingt.

Weiße Blasen seh ich springen,
Wohl! Die Massen sind im Fluß.
Laßt's mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.

Denn mit der Freude Feierklange
Begrüßt sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschoße
Die schwarzen und die heitern Lose,
Der Mutterliebe zarte Sorgen
Bewachen seinen goldnen Morgen.-
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt ins Leben wild hinaus,
Durchmißt die Welt am Wanderstabe.
Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus,
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Tränen,
Er flieht der Brüder wilder Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren
Und ist von ihrem Gruß beglückt,
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
O! daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!

Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch ich ein,
Sehn wir's überglast erscheinen,
Wird's zum Gusse zeitig sein.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
Spielt der jugfräuliche Kranz,
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
Endigt auch den Lebensmai,
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht!
Die Liebe muß bleiben,
Die Blume verblüht,
Die Frucht muß treiben.
Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn.
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.

Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Überzählet sein blühendes Glück,
Siehet der Pfosten ragende Bäume
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Rühmt sich mit stolzem Mund:
Fest, wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mit des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ewger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.

Wohl! nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch bevor wir's lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus!
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt's mit feuerbraunen Wogen.

Wohtätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft,
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen,
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hört ihr's wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
Rot wie Blut
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Straßen auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straße lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,
Kochend wie aus Ofens Rachen
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern
Unter Trümmern,
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
Sprützen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie in des Speichers Räume,
In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reißen, in gewaltger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
Riesengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehn.

Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.

Einen Blick
Nach den Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurück -
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Haupter seiner Lieben,
Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

In die Erd ist's aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird's auch schön zutage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.


Dem dunkeln Schoß der heilgen Erde
Vertrauen wir der Hände Tat,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rat.
Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schoß
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Los.

Von dem Dome,
Schwer und bang,
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.

Ach! die Gattin ist's, die teure,
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schar,
Die sie blühend ihm gebar,
Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust -
Ach! des Hauses zarte bande
Sind gelöst auf immerdar,
Denn sie wohnt im Schattenlande,
Die des Hauses Mutter war,
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr,
An verwaister Stätte schalten
Wird die Fremde, liebeleer.

Bis die Glocke sich verkühlet,
Laßt die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet,
Mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
Ledig aller Pflicht
Hört der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muß sich immer plagen.

Munter fördert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
Nach der lieben Heimathütte.
Blökend ziehen
Heim die Schafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Scharen
Kommen brüllend,
Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kornbeladen,
Bunt von Farben
Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Straße werden stiller,
Um des Lichts gesellge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
Und das Stadttor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
Sich die Erde,
Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen gräßlich wecket,
Denn das Auge des Gesetzes wacht.

Heilge Ordnung, segenreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau begründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesellgen Wilden,
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!

Tausend fleißge Hände regen,
helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heilgem Schutz.
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß.

Holder Friede,
Süße Eintracht,
Weilet, weilet
Freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Tal durchtoben,
Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Röte
Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!

Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat's erfüllt,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt,
Wenn die Glock soll auferstehen,
Muß die Form in Stücke gehen.

Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
Blindwütend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus;
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocken Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulend schallt
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
Die Losung anstimmt zur Gewalt.

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruhge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher,
Das werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Städt und Länder ein.

Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! Wie ein goldner Stern
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielt's wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.

Herein! herein!
Gesellen alle, schließt den Reihen,
Daß wir die Glocke taufend weihen,
Concordia soll ihr Name sein,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sich die liebende Gemeine.

Und dies sei fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf!
Hoch überm niedern Erdenleben
Soll sie im blauen Himmelszelt
Die Nachbarin des Donners schweben
Und grenzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme sein von oben,
Wie der Gestirne helle Schar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und führen das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sei ihr metallner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr im Fluge sie die Zeit,
Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr erschallt,
So lehre sie, daß nichts bestehet,
Daß alles Irdische verhallt.

Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft.
Zehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt,
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.


Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759 - 1805)


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